Roboter für sensitive Umgebungen
Robotiklösungen für Hygiene- und Reinraumumgebungen stehen hoch im Kurs. Life Science, Lebensmittel, Labor, Elektronik, Halbleiter – die Nischenmärkte von einst sind die Wachstumstreiber der Gegenwart. Doch die Einstiegsvoraussetzungen für Roboter in diesen Bereichen sind sehr, sehr hoch. Lesen Sie, worauf es ankommt.
Einer der es wissen muss, ist Peter Pühringer. Als Geschäftsführer von Stäubli Robotics, einem der führenden Unternehmen für Robotiklösungen in hygienesensiblem Umfeld, kennt er die Branchenanforderungen im Detail: „Das Anforderungsprofil an Roboter in diesen Bereichen ist sehr unterschiedlich, aber in jedem Fall überaus anspruchsvoll. Spielt bei Halbleiterapplikationen die Partikelemission eine entscheidende Rolle, geht es im Bereich Life Sciences um das Arbeiten unter aspetischen Bedingungen oder etwa bei Foodeinsätzen um das Thema lebensmittelgerechte Schmierstoffe sowie um die Widerständsfähigkeit der Roboter gegen die üblichen wash-down-Reinigungsprozesse.“
Im Klartext heißt das: Standardroboter sind für diese Märkte gänzlich ungeeignet. Gefragt sind Spezialausführungen, hochentwickelte Roboter, die unter aseptischen Bedingungen arbeiten können, wasserdichte Sechsachser, die sich mit der Reinigungslanze abspritzen lassen, Cleanroomroboter, die selbst die strengste Reinraumklassifizierung einhalten können. Derart hochentwickelte Roboter – das lässt sich besonders anschaulich auf der automatica erleben – unterscheiden sich bereits auf den ersten Blick durch ihr Hygienedesign von konventionellen Standardausführungen.
Besonders deutlich sichtbar wird das beim japanischen Anbieter Yaskawa. Während die bewährten blauen Standardroboter als zuverlässige Arbeitsmaschinen für´s Grobe eher rustikalen Charme versprühen, stammen die ganz in weiß gehaltenen Hochleistungsroboter der Motoman HD-Serie, die in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-IPA entstanden, quasi aus einer anderen Welt: Hier machen designte Oberflächen, innenliegende Medienführungen, resistente Materialien und zahlreiche hygienegerechte Details den Weg frei für den Einsatz in Hygiene- und Reinraumumgebungen.
Mittlerweile liefern nahezu alle renommierten Hersteller Roboter in Hygienedesign. Allerdings: der Aufwand, den die Anbieter investieren, um beispielsweise den hygienetechnischen Empfehlungen der EHEDG (European Hygienic Engineering an Design Group) mehr oder weniger gerecht zu werden, fällt zum Teil sehr unterschiedlich aus. Die automatica bietet hier die optimale Gelegenheit, um Roboter, Greifsysteme, Energieführungen und dergleichen mehr unter diesen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen.
Warum die Hersteller diesen Aufwand treiben müssen, zeigt sich beim Blick auf eine Branche, in der besonders strenge Reinraumanforderungen gelten: die Halbleiterfertigung. Der Grund: Auf den Chips der neuesten Generation haben die Transistoren (von denen es auf jedem Chip Milliarden gibt) eine Strukturgröße von 3 bis 10 Nanometern. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 40.000 bis 60.000 Nanometer dick. Damit ist klar, dass jedes noch so winzige Teilchen schädigende Wirkung haben und einen kompletten Chip unbrauchbar machen kann. Das heißt: Automation in Supercleanroom-Ausführung ist hier gesetzter Standard.
Gleiches gilt auch für andere Bereiche aus dem Elektronik-Umfeld wie Displays, Touchscreens, LEDs, OLEDs…
Welche Dimensionen sich erschließen lassen, wenn sich nicht nur Roboter, sondern auch AGV und Mobilroboter für den Reinraum qualifizieren lassen, unterstreicht ein interessantes Projekt des Anlagenbauers Harro Höfliger, das sich derzeit in der Realisierungsphase befindet. Dabei geht es um die bedienerlose Pharmaproduktion unter Reinraumbedingungen mit hohen Autonomiezeiten. Um dies zu erreichen, müssen diverse Anlagenteile mit reinraumtauglichen mobilen Robotern und AGVs verkettet werden.
Mit der Pharma Factory of the future gelingt Harro Höfliger dieser Schritt. Möglich wird dieser Quantensprung nicht zuletzt durch die Lösungskompetenz von Stäubli. Das Unternehmen konnte sowohl Reinraumroboter als auch geeignete AGVs und Mobilroboter liefern. Mit der „Pharma factory of the future“ schlägt Harro Höfliger ein völlig neues Kapitel auf und liefert der Pharmaindustrie schlüsselfertige, vollautomatisierte Komplettanlagen, die in Sachen Autonomie und Effizienz Maßstäbe setzen werden.
Auch die Lebensmittelproduktion zählt zu den großen Wachstumsmärkten für die Automation. Dabei setzen sich Roboter nicht mehr nur in der Sekundärverpackung durch, sondern auch verstärkt in Primärprozessen, bei denen sie in direkten Kontakt mit den Lebensmitteln kommen. Hier ist der Einsatz lebensmittelverträglicher Schmierstoffe, die im Falle einer Leckage keine gesundheitlichen Schäden verursachen können, Pflicht. Dazu Dieter Rothenfußer, Key Technology Manager Consumergoods/ Food von KUKA: „Diese Anforderungen nehmen wir sehr ernst, zumal unsere Roboter zunehmend in diesen Bereichen eingesetzt werden. Alle Achsen unserer HO-Roboter sind daher mit lebensmitteltauglichen Schmierstoffen ausgestattet, ebenso wie die Energiezuführung zum Roboterwerkzeug.“
Wichtig für die Anwender: die Eignung der Roboter für die in der Branche mehrmals täglich stattfindenden wash-down-Reinigungsprozesse mit zum Teil aggressiven Reinigungsmedien. Um diesen standzuhalten, müssen die Roboter weitestgehend wasserdicht sein und die entsprechende Schutzart aufweisen. Hier ist das Angebot an geeigneten Maschinen doch noch sehr überschaubar.
Auch Fanuc sieht im „Primary Food“-Bereich einen wichtigen Zukunftsmarkt. Hier werde es darauf ankommen, wie Hersteller, Integratoren und Anlagenbauer aus der Lebensmittelindustrie gemeinsam Lösungen entwickeln, meint Nils Tersteegen, Marketingleiter FANUC Deutschland und weiter: „Die automatica ist für diesen Austausch eine ganz wichtige Plattform.“
Wichtig aus Fanuc-Sicht ist auch eine einfache, grafische Programmierung via Tablet – das steigert die Akzeptanz nicht nur in der mit Robotik vertrauten Industrie. Zum Beispiel sorgt der Robotereinsatz beim auf der vergangenen automatica vorgestellten Bakisto-System für eine spürbare Entlastung von Bäckereimitarbeitern oder Personal in Backabteilungen von Discountern. So adressiert die Robotik den Fachkräftemangel auch im Handwerk und Einzelhandel.
Dass die Lebensmittelbranche im Umbruch ist, zeigt jeder aufmerksame Supermarktbesuch. Und ein Blick auf die demografische Entwicklung – 2050 werden 9.7 Milliarden Menschen auf der Erde leben – unterstreicht: Neue Proteinquellen müssen erschlossen werden. Die ENORM Biofactory in Dänemark macht genau das – mit Hilfe von KUKA Robotern.
In der größten kommerziellen Insektenfarm Skandinaviens handhaben die Roboter tausende von Behältern mit Schwarzen Soldatenfliegen. Aus 25 Kilo Eiern dieser Fliege werden innerhalb von zwölf Tagen 100 Tonnen Larven. Weil sich die Larven auch von Abfallstoffen aus der „normalen“ Lebensmittelproduktion ernähren, lösen sie zugleich ein Entsorgungsproblem und wachsen mit sehr geringem CO2-Fußabdruck. Die Roboter in Hygienic Oil-Ausführung befüllen, leeren und stapeln die Kisten, die bis zu 60 kg schwer sind – ein neuer und zukunftsträchtiger Markt für die Automatisierung, die hier zur Erzeugung nachhaltiger Nahrung beiträgt.
Fazit: Die konsequente Weiterentwicklung der Robotik und aller maßgeblichen Anlagenbestandteile sorgt dafür, dass sich die Grenzen für die Automation in hygienesensiblen oder aseptischen Bereichen immer weiter nach oben verschieben. Was gestern noch als nicht automatisierbar galt, kann morgen schon Standard in der Automatisierung sein. Diese beeindruckende Entwicklung lässt sich am besten vom 24. bis 27. Juni 2025 auf der nächsten automatica verfolgen.
Text: Ralf Högel für Messe München