Mit innovativen Ansätzen unterstützen Spezialisten für Robotik und Automation den Kampf gegen die Corona-Pandemie. So helfen Roboter bei der Durchführung von Corona-Tests und deren Auswertung im Labor, sie automatisieren die Produktion von medizinischem Equipment oder von Schutzausrüstung. Und auf automatisierten Montageanlagen entstehen pro Tag Hunderttausende der dringend benötigen Mundschutzmasken. Ein Blick in die Praxis.
Zwar standen und stehen in der Corona-Pandemie einige Produktionen still, doch gibt es auch Firmen, die dringend ihre Fertigungskapazität hochfahren müssen – etwa weil Materialien für Corona-Tests oder Schutzequipment wie Mundschutzschutzmasken produziert werden. Hier helfen automatisierte Produktionsverfahren und Automationstechnologien, Stückzahlen zu erreichen, die bei der manuellen Produktion gar nicht möglich wären – zumal bei den derzeit gültigen Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen.
Und auch bei der Umsetzung von Corona-Tests oder bei den nachfolgenden Arbeiten im Labor können automatisierte Lösungen die Menschen entlasten und schützen, weil Technologie und nicht der Mensch im direkten Kontakt mit möglichen Corona-Infizierten steht. Die Automationsspezialisten haben sich dazu einiges einfallen lassen, was Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Robotik + Automation, sehr freut: „Die Hilfsbereitschaft und Kreativität der Betriebe hat uns überwältigt“, schwärmt Schwarzkopf. „Von allen Seiten kommen Initiativen und neue Ideen, um Automatisierungstechnik für die Bewältigung der Corona-Krise einzusetzen. Dabei legen die Unternehmen eine atemberaubende Geschwindigkeit an den Tag: Es weht uns gerade eine kräftige Brise Gründerspirit um die Ohren.“
Eine dieser Ideen, wie neben „Social Distancing“ auch ein „Industrial Approaching“ zur Eindämmung des Corona-Virus beitragen kann, kommt aus Dorfprozelten in Unterfranken. Dort hat BoKa Automatisierung eine Roboterzelle entwickelt, um die automatisierte Abwicklung von Corona-Tests im Drive-Through-Verfahren schneller und sicherer zu machen. Statt medizinischem Fachpersonal werden ein Videosystem sowie ein Fanuc-Roboter eingesetzt, um Testungen anzuleiten und Proben einzusammeln.
Über ein Tablet identifiziert sich der Autofahrer durch das Seitenfenster seines Fahrzeugs und ein Fanuc LR-Mate Roboter überreicht ihm ein Teströhrchen. Eine Videoanleitung leitet die Probenentnahme an. „Um sicherzustellen, dass jeder Test verwertbar ist, kann die Abstrichentnahme per Kamera-Übertragung von einer medizinisch ausgebildeten Person überwacht werden“, erläutert Severin Bobon, Mitinhaber von BoKa Automatisierung. Zum Schluss übernimmt der Roboter das gebrauchte Teströhrchen – und lagert es bis zum Transport ins Labor ein.
Die Zuordnung der Tests läuft über Barcodes an den einzelnen Röhrchen. Jede Testperson muss zu Beginn ihren Personalausweis einscannen, damit der Roboter die Daten dem jeweiligen Test zuschreiben kann. Da das System für zwei Personen gleichzeitig ausgelegt ist, könnten pro Tag und Anlage rund 500 Proben kontaktlos und automatisiert eingesammelt werden – und das im 24-Stunden-Dauerbetrieb. Zum Vergleich: Drive-in-Teststationen, die mit medizinischem Fachpersonal besetzt sind, kommen (auch wegen der eingeschränkten Öffnungszeiten), meist nur auf 200 Corona-Tests pro Tag.
Neben solchen Abstrich-Tests spielen Bluttests auf Antikörper eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie. Aber wo kommt das Material für die vielen Corona-Tests her? Unter anderem aus Anlagen von Robotec Solutions. Die Schweizer Robotikspezialisten bauen aktuell gleich mehrere Roboteranlagen für globale Firmen im Healthcare- und Diagnostikbereich.
In einer solchen Anlage entladen die Roboter in einem Reinraum Formteile, die für die Bluttests benötigt werden. Diese Formteile werden unter anderem im Spritzgießverfahren bei der Firma Flex Precision Plastics hergestellt. Nach dem erfolgreichen Entladen werden sie durch Hochspannungsprüfungen, Vision-Systeme und ausgeklügelte Sensortechnik auf Qualität kontrolliert. Gutteile werden anschließend mittels Laser beschriftet und auf einem Förderband ausgegeben oder gleich fertig verpackt.
Denn: Der Bedarf für diese Wegwerfprodukte, die nach jedem Test ausgewechselt werden müssen, ist durch die Corona-Pandemie stark angestiegen. Weil das Automationsbedürfnis der Hersteller entsprechend groß ist, hat Robotec gleich fünf solcher Anlagen innerhalb kürzester Zeit realisiert, unter Hochdruck und strengen hygienischen Maßnahmen: „Unser Team setzt die Auflagen der Schweizer Gesundheitsbehörden strikt um – unsere Roboter müssen dies nicht“, sagt CEO Nick Koch.
Das Handling vieler solcher Blutproben und Tests bei der Auswertung ist sehr aufwendig. Das zeigt ein Blick ins Universitätsklinikum Aalborg in Dänemark, das schon vor der Corona-Pandemie auf eine roboterbasierte Automatisierungs-Lösung gesetzt hat, um das Labor-Personal zu entlasten. Bereits vor der Corona-Krise kamen dort bis zu 3.000 Blutproben täglich an. Sie müssen geprüft und sortiert werden – diese Aufgabe ist einerseits monoton und zeitaufwendig, andererseits erfordert sie besondere Sorgfalt. Um dem Krankenhauspersonal speziell in der aktuellen Ausnahmesituation Freiraum für andere Aufgaben zu geben, übernehmen nun automatisiert zwei Kuka-Roboter aus der KR Agilus Baureihe diese Aufgaben, einer vom Typ KR 3 und einer vom Typ KR 10.
Im Labor platziert eine Mitarbeiterin die intelligenten Transportboxen auf dem Zuführband der Roboteranlage. Der erste Roboter öffnet die Transportbox, entnimmt die Blutproben und stellt sie zur Sortierung ab. Anschließend sortiert der zweite Kuka-Roboter die ausgepackten Glasröhrchen nach der Farbe ihrer Deckel. Die vorsortierten Proben werden so aus der Anlage ausgegeben, dass der Labormitarbeiter die Blutuntersuchung durchführen kann. Im Schnitt benötigt die Anlage pro Box 1,5 Minuten und schafft so bis zu vierzig Boxen in einer Stunde. Rein technisch kann diese Lösung für das Sortieren jeglicher Tests – auch Corona-Tests – genutzt werden. Voraussetzung dafür ist lediglich, dass sich das Testmaterial, seien es Blutproben oder Stäbchen, in den Glasröhrchen befindet und diese in den intelligenten Transportboxen in die Roboteranlage gelangen.
Darüber hinaus sind Kuka-Roboter in einer ganzen Reihe weiterer aktueller „Anti-Corona“-Projekte aktiv: Zum Beispiel in Norditalien bei der Firma Caracol-AM, wo sie mittels 3D-Druck alle fünf Minuten eine Kopfhalterung für Gesichtsschutzschilder drucken. Täglich werden so mehr als 1.000 Stück produziert. Die von den Kuka Robotern gedruckten Kopfhalterungen werden dann noch durch ein Plexiglas ergänzt, das vor Tröpfcheninfektion schützen soll. Einen Teil der Produktion spendet die italienische Firma Caracol-AM an lokale Krankenhäuser und Institutionen.
„Während des Covid-19-Notstands wollen wir mit unseren 3D-Druckverfahren einen Beitrag leisten. Dank unserer Erfahrung auf diesem Gebiet konnten wir schnell reagieren und unsere Produktion umstellen“, sagt Francesco De Stefano, CEO von Caracol-AM. Das Beispiel zeigt zudem, wie schnell moderne Roboter für neue Aufgaben umgerüstet werden können.
Am tschechischen Bulovka Hospital in Prag wiederum unterstützt ein Leichtbauroboter LBR iiwa von Kuka das Krankenhauspersonal beim Test von Covid-19 Proben. Die dortige „Covid-Testzelle“ wurde vom Czech Institute of Informatics, Robotics and Cybernetics (CIIRC) entwickelt und in Betrieb genommen. Die Kapazität der Roboterzelle beträgt 700 Tests pro Tag. Bei Bedarf kann die Anlage auch nachts weiterlaufen.
Auch anderswo sind Robotikspezialisten eifrig dabei, Roboterlösungen zu entwickeln, die das Laborpersonal entlasten. Bei der Hahn Group beispielsweise testet das Team der Hahn-Cobot-Tochter Rethink Robotics gerade eine Cobot-Lösung zur Automatisierung von Labortätigkeiten. Hierfür setzt Hahn seinen kollaborativen Roboter Sawyer ein. Mit Hilfe des Cobots werden Labormitarbeiter von sich wiederholenden Handlungsschritten entlastet und von gefährlichen Tätigkeiten ferngehalten. Durch die Unterstützung von Sawyer können außerdem die Abstandsregeln in kleineren Arbeitsräumen besser eingehalten werden. Erste Installationen der Labor-Cobot-Technologie sind für den Sommer 2020 geplant.
Auch andere Hahn-Group-Unternehmen wollen mithelfen, dass mehr Tests auf Covid-19 durchgeführt werden können und sorgen durch automatisierte Produktion dafür, dass mehr Verbrauchsmaterial wie Pipettenspitzen hergestellt werden kann. Innerhalb von vier Wochen haben die Schwesterunternehmen Hahn Robotics und Waldorf Technik eine Roboterautomation konzipiert und in Betrieb genommen, die solche Pipettenspitzen aus einer Kunststoffspritzgussmaschine entnimmt.
In der Medizintechnik gibt es zudem den Trend, Diagnostik-Analysen direkt vor Ort etwa in der Hausarzt-Praxis zu ermöglichen, statt die Proben zeitaufwändig in zentrale Labore zu verschicken. Damit solche Schnelltests für die patientennahe Labordiagnostik (Point-of-Care-Testing) in großer Stückzahl zur Verfügung stehen, müssen diese Test-Geräte auf automatischen Anlagen zusammengebaut werden. Solche Anlagen baut unter anderem der Maschinenbauer Teamtechnik. So hat das Unternehmen gerade für ein Corona-Diagnostikprodukt eine erste automatische Montage- und Prüfanlage produziert.
Und die Drähte in Freiberg am Neckar glühen heiß: „Die Nachfrage nach der Bereitstellung von Kapazitäten für solche Montage- und Prüfanlagen für Diagnostikprodukte ist riesig und eilig. Wir erhalten Anfragen aus dem In- und Ausland“, berichtet Frank Hack, der als Managing Director den Bereich Medtech bei Teamtechnik verantwortet. Auch der Maschinenbauer Contexo aus dem Remstal hat auf die gestiegene Nachfrage nach Montageanlagen für Medical Devices sofort reagiert und seine Kapazitäten hochgefahren. In der Vergangenheit hat Contexo bereits gemeinsam mit dem Diagnostik-Spezialisten Curetis ein automatisches Minilabor konzipiert und eine entsprechende Montageanlage gebaut, um Tests auf Lungenentzündungserreger zu dezentralisieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Eindämmung der Pandemie ist neben Tests und -Diagnostik die schnelle und massenhafte Herstellung von Schutzequipment wie Mundschutzmasken. Der Montageanlagenbauer PIA Automation bietet daher vollautomatische Montagelinien für die Hochgeschwindigkeitsfertigung von Schutzmasken an. Seit der rasanten Ausbreitung des Virus sind bei PIA in Amberg über 100 Anfragen aus allen Teilen der Welt eingegangen.
Auch viele einheimische Unternehmen folgen dem Aufruf, eine nationale Produktion an persönlicher Schutzausrüstung aufzubauen. Unter ihnen die Firma Zettl Automotive, die in einer Partnerschaft mit PIA die Produktion von Mundschutzmasken aufzieht. Gemeinsam mit der Firma Sandler AG, die den Vliesstoff für die Einwegmasken herstellt, haben PIA und Zettl den „Masken-Verbund-Bayern“ gegründet. Der Verbund will in wenigen Wochen eine sechsstellige Stückzahl Masken täglich produzieren. Jede vollautomatische Produktionslinie von PIA kann bis zu 140.000 Mundschutzmasken (abhängig von Typ und Material) pro Tag liefern, also ein Vielfaches von dem was aktuell per Hand hergestellt wird.
Und nicht nur in Bayern laufen die automatisierten Mundschutz-Produktionsanlagen an: Auch das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT aus Aachen baut gemeinsam mit der IBF Automation aus Freudenberg im Auftrag der Moss aus Lennestadt im Sauerland eine Produktionsanlage für Mundschutzmasken auf. Die Projektpartner haben sich das Ziel gesteckt, eine Anlage aufzubauen, mit der sich täglich 50.000 Mundschutz-Masken produzieren lassen. Anschließend sollen drei weitere Anlagen in Deutschland aufgestellt werden, um die Produktion auf täglich 200.000 Masken ausweiten zu können.
Auch bei Bosch hat man die Fertigung von Mund- und Nasenmasken aufgenommen. 13 Bosch-Werke in neun Ländern stellen in Eigeninitiative Masken für ihren lokalen Bedarf her. Darüber hinaus baut Bosch derzeit zwei vollautomatische Fertigungslinien am Standort Stuttgart-Feuerbach auf – weitere folgen in Erbach (Odenwald) sowie in Indien und Mexiko. „Unser Sondermaschinenbau hat binnen weniger Wochen eine entsprechende Anlage konzipiert“, sagt Bosch-Chef Volkmar Denner. Die Konstruktionspläne hat Bosch auch anderen Unternehmen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Insgesamt können damit pro Tag mehr als 500.000 Masken produziert werden.