Als „Wiege eines offenen digitalen Ökosystems, in dem Daten sicher und vertrauensvoll verfügbar gemacht, zusammengeführt und geteilt werden können“: So preisen die GAIA–X-Initiatoren aus dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesforschungsministerium ihre Initiative an. Ihr Name stammt aus der griechischen Mythologie, „Gaia“ bezeichnet darin die Urgöttin und personifizierte Erde. Ein sehr großer Name für ein nicht weniger großes Projekt.
Denn die Initiative GAIA-X hat das Ziel, in Europa eine Cloud-Infrastruktur für die Wirtschaft zu schaffen, um die Dominanz ausländischer Konzerne, vorrangig aus den USA, aufzubrechen. Wie auf dem Digitalgipfel 2019 angekündigt, soll damit eine sichere und vertrauenswürdige, souveräne, vernetzte und offene Dateninfrastruktur für Europa entstehen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erläutert die Hintergründe von GAIA-X: „Daten werden der bedeutendste Rohstoff der Zukunft. Die europäische Wirtschaft benötigt daher dringend eine Infrastruktur, die Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit bei hohen Sicherheitsstandards gewährleistet.“ Das sei in der Tat unbedingt notwendig, pflichtet Forschungsministerin Anja Karliczek bei: „Denn die Macht über die Daten in Europa soll nicht mehr in den Händen einiger weniger internationaler Konzerne liegen.“
Damit dürfte Forschungsministerin Karliczek insbesondere auf die Cloud-Angebote von US-Riesen wie Google, Amazon und Microsoft anspielen, die das Cloud-Segment mit schnell skalierenden Infrastrukturen, hoher Marktmacht und großen Kapitalreserven dominieren. Um auf Dauer digital souverän agieren zu können, müsse Europa sich gegen zunehmende Abhängigkeiten wappnen.
Mit GAIA-X plane die Bundesregierung keineswegs einen nationalen Alleingang, betont das Bundeswirtschaftsministerium: Das Projekt sei als Vorschlag an Europa zu verstehen. Man gehe daher diesen Weg gemeinsam mit Partnern, allen voran mit Frankreich und der EU-Kommission.
Die Resonanz des Projekts GAIA-X sei bei den Unternehmen sehr positiv, freut sich das Bundeswirtschaftsministerium. Rund 100 Unternehmen und Organisationen arbeiten derzeit an der technologischen Umsetzung mit, darüber hinaus seien rund 60 Unternehmen beteiligt, die die Anforderungen an das Projekt aus Nutzerperspektive einbringen. Mit an Bord sind namhafte Firmen wie die Deutsche Telekom, 1&1, SAP, BMW, Bertelsmann, Bosch, ENBW aber auch US-Riesen wie IBM, Google, Amazon Webservices und inzwischen auch Microsoft.
Die GAIA-X-Initiative soll keine Konkurrenz zu den großen US-Anbietern sein. Letztlich wolle man für den europäischen Mittelstand eine Wahlfreiheit schaffen, auf welchen Servern und mit welchen Sicherheitsstandards sensible Daten gelagert werden, wird beteuert. Das Projekt stehe daher allen Interessierten offen, die die Ziele der Datensouveränität und Datenverfügbarkeit teilen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Hatte sich Microsoft zunächst noch zurückhaltend geäußert (eine staatlich vorangetriebene Lösung dauere zu lange und werde am Markt nicht erfolgreich sein), so betont Microsofts Deutschland-Chefin Sabine Bendiek nun: „Um die Potentiale von KI für die Industrie, die öffentliche Verwaltung oder das Gesundheitswesen auszuschöpfen, brauchen wir einerseits eine ganz neue Bereitschaft, Daten unternehmens- und branchenübergreifend zu teilen.“ Das Konzeptpapier zu GAIA-X enthalte dazu viele richtige Ansätze, so Bendiek: „Deshalb haben wir beim Bundeswirtschaftsministerium offiziell unser Interesse an einer Teilnahme hinterlegt.“
„Digital Trust, also das Vertrauen in eine sichere und benutzerbestimmte Nutzung der Daten, ist ein wesentlicher Faktor für die digitale Transformation der Industrie in Deutschland und in Europa“, sagt Dr. Frank Melzer. Er ist nicht nur Vorstand Product and Technology Management beim Automatisierungsspezialisten Festo, sondern auch Leiter des Lenkungskreises der Plattform Industrie 4.0, einem Netzwerk aus Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik zur Weiterentwicklung und Umsetzung des Zukunftsprojekts „Industrie 4.0“, verankert in der Hightech-Strategie der Bundesregierung.
Als Vordenker der Plattform Industrie 4.0 hat Melzer das Projekt GAIA-X gemeinsam mit anderen Unternehmen wie SAP, Telekom, Bosch, Siemens oder Schunk mitinitiiert. Um erfolgreich digitale Geschäftsmodelle umzusetzen, brauche es für ihn eine vertrauenswürdige und sichere, aber auch leistungsfähige Dateninfrastruktur in Europa. Mit Festo will er sich nun in den Aufbau der offenen GAIA-X-Dateninfrastruktur einbringen und insbesondere auch bei der Praxis-Erprobung von verschiedenen Use Cases beteiligen.
Melzer sieht den Vorteil von GAIA-X u.a. in der Datensouveränität: „Diese Datensouveränität stellt sicher, dass jeder Benutzer die vollständige Kontrolle über gespeicherte und verarbeitete Daten sowie die unabhängige Entscheidung zu allen Zugriffsrechten hat.“
GAIA-X-Mitinitiator Prof. Dr. Friedhelm Loh, Inhaber der hessischen Friedhelm Loh Group, zu der unter anderem der Schaltschrankhersteller Rittal gehört, sieht die Frage „Wem gehören die Daten?“ für den Mittelstand als zentral an. Schließlich bauen VW und BMW zusammen mit Amazon Web Services beziehungsweise Microsoft fabrik- und firmenübergreifende Cloud-Plattformen auf, in die auch die Zulieferer eingebunden werden sollen. Die Zulieferer müssen also entweder fürchten, die Kontrolle über ihre Produktionsdaten zu verlieren, oder ihren Zuliefererstatus, wenn sie sich weigern, ihre Daten in die Amazon- oder Microsoft-Cloud zu schicken.
In den eigenen Fabriken habe man gelernt, wie wichtig die Datensouveränität für den industriellen Mittelstand sei. In Rittals modernem Schaltschrankwerk in Haiger liefern über 100 Maschinen ihre Daten, bis zu 18 Terabyte am Tag. Da es keinen Sinn mache, eine solche Datenmenge in die Cloud zu schaufeln, entwickelte die Loh Group eine Art Mini-Rechenzentrum, das direkt in die Fabrik gestellt wird. Dieses bietet man inzwischen sogar als Produkt anderen Mittelständlern an.
Solche dezentralen Dateninfrastrukturen ( im IT-Sprech Cloud- und Edge-Instanzen) bei großen, mittleren und kleineren Unternehmen in Deutschland und in Europa soll GAIA-X zukünftig zu einem homogenen und nutzerfreundlichen System vernetzen und quasi zu einer riesigen Cloud skalieren. Dadurch soll es auch möglich sein, Methoden des Maschinellen Lernens sowie der Künstlichen Intelligenz als Servicedienstleistung Unternehmen aus dem Mittelstand über standardisierte Schnittstellen zur Verfügung zu stellen.
Ganz neu ist diese Idee indes nicht. Im Forschungsprojekt International Data Space IDS wird bereits seit 2014 ein sicherer Datenraum geschaffen. In diesem Datenraum arbeiten heute schon 100 Unternehmen zusammen und tauschen darüber Daten aus, zum Beispiel in der Materialforschung und der Medizin. Die Fraunhofer-Forscher rund um das Forschungsprojekt International Data Space IDS sind daher ebenfalls an der Ausgestaltung von GAIA-X beteiligt.
Ziel ist es nun, die GAIA-X-Idee 2020 in feste Formen zu gießen. In einem Use Case „Collaborative Condition Monitoring“ soll es beispielsweise um die herstellerübergreifende und kontinuierliche Sammlung und Analyse von Betriebs- und Zustandsdaten von Produktionsanlagen gehen, verrät Festo-Mann Melzer: Dieser Use Case werde dann auch zur Validierung von GAIA-X verwendet. „Die prototypische Implementierung der Grundfunktionalität in einem echten Kundenumfeld soll dann bis zum 4. Quartal 2020 realisiert werden.“