Roboter werden immer agiler. Immer öfter gesellen sie sich – als Cobots – zu den menschlichen Kollegen und unterstützen sie bei der Arbeit. Andere machen sich auf den Weg durch die Fabrik und navigieren – als Autonome Mobile Roboter – frei zum Ziel. Diese AMR sind ein echter Wachstumsmarkt – und ein Ausstellungsschwerpunkt zahlreicher Anbieter auf der automatica.
Rein äußerlich sind AMR kaum von den seit Jahrzehnten etablierten FTF (Fahrerloses Transportfahrzeug) zu unterscheiden. Auf den zweiten Blick sieht die Sache anders aus. Denn: Ein FTF ist quasi das „öffentliche Verkehrsmittel“ im innerbetrieblichen Materialfluss, mit festen Wegstrecken und sehr robuster Wegführung. Der AMR hingegen navigiert, wie der Individualverkehr, frei zu jedem gewünschten Ziel. Er bringt somit Flexibilität in den Transport. Das setzt Orientierung im Raum voraus und die Fähigkeit, Routen neu zu berechnen oder zu verändern.
Das ist, so scheint es, die Zukunft der Intralogistik – als Alternative insbesondere zum „bemannten“ Flurförderzeug. Der Markt der Autonomen Mobilen Roboter boomt und er wird auch langfristig weiter wachsen. Im Jahr 2023 betrug sein Volumen global rund 4,32 Milliarden US-Dollar, bis 2032 soll er sich – so die Prognose des Marktforschungsinstitutes Straits Research – mehr als verdoppeln, auf 9,2 Mrd. Dollar.
Das Wachstum speist sich auch daher, dass AMR leichter und schneller zu integrieren sind als FTS. Damit eignen sie sich besser für den Einsatz in kleineren Unternehmen. Und weil sie beim Navigieren ohne feste Wegmarken auskommen, sind sie auch die richtige Wahl für zeitlich befristete oder immer wieder neue und andere Einsätze – zumal es inzwischen explizite Low-Cost-AMR gibt.
Wer sich auf der automatica über den Markt der AMR informieren möchte, sollte sich gut vorbereiten: Das Angebot auf der Messe ist sehr groß und außer den bekannten Roboterherstellern, die ihr Programm um AMR erweitert haben, sind auch viele Startups dabei. Die Aussteller konzentrieren sich in Halle B4, neben Einzelständen gibt es den Sonderbereich „Mobile Robots in Production: Mesh-Up.“
Einige Beispiele: Agilox erweitert die Tragfähigkeit und damit die Einsatzmöglichkeiten von AMR, die grundsätzlich eher geringere Lasten transportieren als FTF. Nicht so der neue „Omnidirectional Free Lifter“: Er kann per Freihub Paletten und andere Ladungsträger bis 800 kg Gewicht auf eine Höhe bis 1.200 mm heben.
Bosch Rexroth integriert „klassische“ Fahrerlose Transportsysteme (FTS) und AMR nahtlos in einen gemeinsamen Logistikfluss und nutzt dabei die offene VDA 5050-Schnittstelle. Auch Schlepper und andere (autonome) Fahrzeuge können in dieses Konzept einbezogen werden. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ reduziert Filics den Palettentransport auf zwei autonome und einzelne Kufen und macht sich dabei die bei AMR typische Synchronisierung von Fahrbewegungen zunutze – eine echte Innovation.
Der koreanische Hersteller Hanwha Robotics setzt seine Sechsachsroboter auf eine mobile Plattform und bietet damit einen „Allrounder“ der Robotik, der in der Montage oder im Lager ganz unterschiedliche Handhabungsaufgaben übernehmen kann. Igus ist erfolgreich mit Low-Cost-AMRs vom Typ ReBel Move unterwegs - und inzwischen auch mit Kombinationen von AMR und Cobot.
Die dänischen Robotik-Experten von Kassow bieten mit der KR-Serie die nach eigenen Angaben platzsparendsten kollaborativen Roboter im Markt. Sie werden von Integratoren als Basis für AMR-Cobot-Kombinationen genutzt – zum Beispiel von der Project Service & Produktion GmbH. Ihr kompakter mobiler Orbyn-Roboter kann sich dank der integrierten Laser-Scanner im kollaborativen Modus frei zwischen Mitarbeitern bewegen und punktet mit intuitiver Programmierung.
Für den Münchner Anbieter Magazino ist die automatica ein Heimspiel. Das inzwischen zu Jungheinrich gehörende Unternehmen gehörte zu den ersten, das mobile Roboter mit einem zusätzlichen Freiheitsgrad ausstattete. Der „Soto“ kann z.B. in ein Regal hineingreifen und Schuhkartons oder Bücher kommissionieren. Oder er bestückt Regale an Montagearbeitsplätzen etwa in der Lkw-Produktion mit Nachschub.
Neura Robotics entwickelt mobile kognitive und kollaborative Roboter, die auch „Hand in Hand“ bzw. „Greifer in Greifer“ arbeiten und dabei sowohl Transport- als auch Montageaufgaben übernehmen, zum Beispiel in der Automobilproduktion und im Maschinenbau. Und Safelog hat mit dem GT1 einen kompakten AMR mit „eingebauter Schwarmintelligenz“ für den Palettentransport entwickelt.
Eine Weltneuheit kommt von Stäubli: Die Schweizer stellen mit dem Sterimove eine mobile Plattform für ein ganz neues und anspruchsvolles Einsatzgebiet vor: Reinräume aller Art. Das komplett gekapselte Fahrzeug ist weltweit das einzige seiner Art, das für sterile Umgebungsbedingungen der GMP-Klasse A/B zertifiziert ist. Kaum vorgestellt, ist die Nachfrage aus der Pharmaindustrie bereits hoch.
In Nachbarschaft zu diesen Herstellern werden auch viele Software-Anbieter und Systemintegratoren ihr Angebot für AMR-Applikationen vorstellen – zum Beispiel Idealworks, eine Ausgründung von BMW, die komplette Softwarepakete für den Betrieb von FTS und AMR bereitstellt. Das zur Porsche Gruppe gehörende Software- und Beratungshaus MHP hat mit dem FleetExecuter eine Möglichkeit geschaffen, FTS und AMR unterschiedlicher Hersteller zu steuern und ihre Aufgaben zu koordinieren. Und das ist nur ein Bruchteil der Aussteller, die in München den Ausstellungsfokus auf autonome mobile Robotik richten.
Das aktuelle Wachstum im FTS- und AMR-Markt beruht nicht zuletzt auf der Standardisierung, deren Vorteile beim VDA 5050-Standard besonders deutlich werden. Es handelt sich hier nicht um eine Norm, sondern um ein freiwilliges Regelwerk, das die Integration von Fahrzeugen verschiedener Hersteller in verschiedene Automatisierungsumgebungen erleichtert.
Ebenso „gepusht“ wird der Einsatz von mobilen Robotern durch die neueren Navigationstechnologien, darunter die vielzitierte SLAM Technologie. Dank „Simultaneous Localization and Mapping“ können AMR eigenständig ihre Umgebung erfassen und sich an vorhandene bzw. veränderte Gegebenheiten anpassen – ohne fest installierte Infrastruktur.
Eben diese Eigenschaft machen AMR zur idealen Lösung für die Automatisierung in Brownfield-Umgebungen, die in der Praxis deutlich häufiger vorkommen als der Neubau auf der sprichwörtlichen grünen Wiese. Die AMR können einfach per „drop in“ und „teach in“ implementiert und in Betrieb genommen werden – und das ist nur ein wenig übertrieben. Auch eine schrittweise Automatisierung ist möglich. Das sind Vorteile, die angesichts stetig steigender Arbeits- und Betriebskosten bei anhaltendem Fachkräftemangel gern genutzt werden. Die Marktdaten für die AMR-Nutzung zeigen es.
Zusätzliche Impulse erhält der Einsatz von AMR durch die verstärkte Nutzung von KI. Die Roboter können dann z.B. intelligenter navigieren, Routen optimieren und im Sinne der vorbeugenden Instandhaltung Unregelmäßigkeiten erkennen und melden. In Zukunft werden sie auch in der Lage sein, selbsttätig Aufgaben zu erkennen und abzuarbeiten. Hier steht die autonome Robotik noch am Anfang. Auf der automatica wird auch dieser Trend diskutiert werden.
Text: Ralf Högel für Messe München