EN

„KI-Nutzer müssen keine KI-Spezialisten sein“

Für den Werker in der Fabrik können KI-Systeme hilfreiche Assistenten sein. Plamen Kiradjiev und Jochen Benke von IBM erklären im Interview, wie sich damit die Ausfallzeiten von Maschinen reduzieren lassen, warum Augmented Reality noch Zeit braucht und wie man die Menschen für die Technik gewinnt.

IBM hat einen intelligenten Fertigungsassistenten für die Automobilindustrie entwickelt. Was hat es damit auf sich?
Plamen Kiradjiev: Am Beginn von IAMA - also dem Intelligent Automotive Manufacturing Assistant – stand die Idee, mit einem großen Automobilunternehmen eine Lösung für den Shopfloor zu entwickeln, bei der Technologien wie Künstliche Intelligenz, Augmented Reality und Internet of Things zum Einsatz kommen. Wir bieten dabei einen Marktplatz aus verschiedenen Services an. Ein Fokus liegt darauf, relevante Informationen dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden.

Das heißt konkret?
Kiradjiev: Was macht ein Werker, wenn eine Maschine stehen bleibt? Er läuft zurück ins Office, setzt sich an den Rechner und browst innerhalb einer bestimmten Struktur nach dem relevanten Dokument, um den Fehler zu beheben. Aber diese Struktur ist zehn bis 20 Ebenen tief. Derjenige, der diese geschaffen hat, kommt damit zurecht. Aber der normale Servicetechniker hat große Probleme, das richtige Dokument schnell zu finden. Mit IAMA bringen wir die Informationen direkt an die Maschine oder auf ein mobiles Endgerät. Und wir machen sie mit einer intelligenten Suche besser auffindbar.

Wie kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel?
Kiradjiev: Die KI sorgt für eine semantische und kontextbezogene Suche. Der Nutzer wird außerdem direkt zur passenden Textstelle geführt und muss nicht ein Dokument mit 1000 Seiten durchforsten, um an seine Informationen zu kommen. Dafür wird die Lösung anhand einer ontologischen Anordnung von Begriffen in speziellen Filtern trainiert, die für den jeweiligen Mitarbeiter wichtig sind. So wird vorab schon in Themen wie zum Beispiel Fabrik, Arbeitsbereich, Gebäude, Station, Maschine oder Komponente unterschieden. In der Vorbereitung der Informationen wird auch eine intelligente optische Zeichenerkennung – also OCR – durchgeführt. Mit dieser werden Papierdokumente, wie etwa unterschriebene Sicherheitsprotokolle, digitalisiert.

Was ist der konkrete Nutzen?
Kiradjiev: Wir konnten berechnen, dass man mit der Lösung bis zu 30 Minuten Zeit bei der Suche nach relevanten Informationen einsparen kann. So lässt sich die Ausfallzeit einer Maschine dramatisch reduzieren und Millionen an Stillstandkosten einsparen. Die Unternehmen müssen weniger nacharbeiten. So fallen zum Beispiel zusätzliche Kosten durch Extraschichten weg.

Wie greifen die Werker auf solche Fertigungsassistenten zu?

Kiradjiev: Grundsätzlich kann der Mitarbeiter den Assistenten über alle Endgeräte nutzen: über den Desktop-Rechner, das Tablet, das Smartphone oder an einem Bildschirm an der jeweiligen Arbeitsstation. Wir haben auch einen Service entwickelt, bei dem wir auf Basis von Augmented Reality einen entfernten Experten zur Hilfe heranziehen können. Der Servicetechniker kann bei einem Problem mit seinem Mobilgerät Bildsequenzen von seiner Umgebung machen und an den Experten schicken. Dieser kann dann zum Beispiel in den Bildern bestimmte Bereiche markieren und so den Werker bei der Behebung des Problems unterstützen.

Plamen Kiradjiev, IBM

Bei Augmented Reality kommen in der Regel auch Datenbrillen zum Einsatz. Welche Rolle wird diese Technologie Ihrer Meinung nach künftig in der Fertigung spielen?
Jochen Benke: Bei einem Projekt wurde ein Vision-System im Logistikumfeld entwickelt. Dem Werker wurde dabei die Nummer des Regals, sowie ein Richtungspfeil über eine Augmented-Reality-Brille angezeigt, wohin er ein Teil einsortieren sollte. Die Fehlerrate ist dadurch quasi auf Null gesunken.
Kiradjiev: Die derzeit verfügbaren Brillen sind allerdings noch nicht für den Arbeitseinsatz geeignet. Wir reden hier ja nicht von einem Computerspiel. Grundsätzlich bieten Augmented-Reality-Brillen einen Kommunikationskanal zwischen Mensch und Maschine. Aber man muss sie so einsetzen, dass sie ergonomisch zum Menschen passen.

Ist die Akzeptanz des Werkers eine der größten Hürden, wenn man Technologien einführt, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen sollen?
Benke: Man muss bei allen Dingen, die man einführt, darauf achten, dass diese nicht nur von der IT akzeptiert werden oder von den Fertigungsingenieuren, sondern auch von den Werkern, die damit arbeiten müssen. Und man muss darauf achten, dass sich eine Lösung einfach nutzen lässt. Es darf keine zusätzliche Komplexität auf das Betriebsteam übertragen werden.
Kiradjiev: Eine KI-Lösung beispielsweise muss so einfach gestaltet sein, dass der Nutzer kein KI-Spezialist sein muss.
Benke: In unseren Projekten versuchen wir technische Assistenzsysteme so zu implementieren, dass sie sich selbst managen. Man muss kaum eingreifen. Es wird alles automatisch ausgerollt und überwacht.

Worauf muss man neben der Usability noch achten?
Benke: Schon bei unserem ersten Referenzprojekt mit einem Landmaschinenhersteller hat das der verantwortliche Manager sehr clever gemacht. Denn die Mitarbeiter an der Linie waren zuerst sehr skeptisch. Aber als die Führungsriege aus den USA kam, hat er veranlasst, dass die Werker die Lösung als ihr System präsentiert haben. Damit wurde die Akzeptanz erhöht.
Kiradjiev: Die Mitarbeiter waren von Anfang an involviert. Und wir haben uns auch Feedback von den Werkern eingeholt und über die gewünschten Anpassungen gesprochen. Es ist ihr System. Warum sollte ich den Mitarbeitern vorschreiben, was sie nutzen sollen? Die Werker wissen, was sie brauchen. Der Mensch steht im Zentrum. Das ist keine Floskel.

Wo sehen Sie derzeit das größte Potenzial für KI, die dem Werker assistiert?
Kiradjiev: Ich sehe vor allem bei Inspektionstätigkeiten viele Möglichkeiten – also in der Qualitätssicherung. Dort kann sie den Menschen entlasten, zum Beispiel bei der Kontrolle von Schaltungen in der Elektronik. Ein Beispiel ist ein Service, mit dessen Hilfe man spontan eine Qualitätssicherung durchführen kann. Der Werker kann mit seinem Smartphone eine Aufnahme machen – zum Beispiel zur Kontrolle von Felgen – und intelligente Algorithmen erkennen dann die Fehler. Und wenn diese gefunden wurden, erhält der Mitarbeiter über den Service auch die passende Handlungsanweisung. KI besitzt grundsätzlich ein großes Potenzial, um die Mitarbeiter in der Fabrik zu unterstützen. Man darf sie aber nicht aus reinem Selbstzweck einsetzen.

Jochen Benke, IBM