Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ist beschlossene Sache. Der Umstieg auf ausschließlich regenerativ tritt einen der größten Transformationsprozesse in der Geschichte der Menschheit los. Die Energieerzeugung der Zukunft verlangt nach neuen Technologien und Produktionsverfahren und generiert damit einen Milliardenmarkt für die Automatisierungsbranche.
Ohne den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen ist das zentrale Klimaziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, nicht erreichbar. Deshalb haben sich die Teilnehmer der UN-Klimakonferenz in Dubai im Dezember 2023 darauf geeinigt, den Ausstieg aus der Nutzung dieser Energieträger voranzutreiben und im Jahr 2050 „Netto Null“ beim CO2-Ausstoß zu erreichen.
Leisten Öl, Gas und Kohle keinen oder nur noch einen untergeordneten Beitrag zur Energieerzeugung, kommt den regenerativen Energieformen eine alles entscheidende Bedeutung zu. Das ist bereits heute absehbar. Beispiele sind die Elektromobilität und Wärmepumpen als künftig wohl einzige Form der Beheizung zumindest in Deutschland. Die Folge: Bis zum Jahr 2030 wird der Stromverbrauch hierzulande – so die aktuelle Prognose der Bundesnetzagentur – um rund 38 Prozent steigen – von 515 TWh in 2023 auf dann 715 TWh.
Damit werden die Fragen nochmals dringlicher: Woher kommt in Zukunft der Strom, wie wird er erzeugt und wie kommt er zu den Verbrauchern? Immerhin erzielten erneuerbare Energieformen im Jahr 2023 mit rund 268 Mrd. kWh einen Anteil von 52 Prozent im deutschen Energie-Mix. Dabei steuert die Windkraft mit deutlich über einem Viertel den Löwenanteil bei, gefolgt von der Photovoltaik und der Biomasse auf Platz drei.
Das Problem dabei: Weder Wind noch Sonne sind beliebig verfügbar. Aber die Industrie braucht bezahlbaren Strom und dies rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Was tun also bei „Dunkelflauten“, wenn weder der Wind weht noch die Sonne scheint? Die Lösung scheint einfach: Strom speichern. Aber genau dabei liegt das größte Problem der regenerativen Energieerzeugung. Die wenigen Speichertechnologien, die zur Verfügung stehen, sind allesamt teuer, aufwendig und ineffizient.
Als zentraler Baustein für die Speicherung überschüssiger Energie gelten Batteriespeicher. Was sich bei privaten Photovoltaikanlagen mit Speichern von 10 bis 20 kWh mehr oder weniger bewährt, muss nun in kürzester Zeit im industriellen Maßstab entstehen. So soll in Alfeld an der Leine der europaweit größte Batteriegroßspeicher mit 137,5 MW Speicherleistung und 275 MWh Speicherkapazität realisiert werden. Die Fertigstellung ist für Ende 2025 geplant. Projekte wie diese wird es Tausende geben müssen, soll der weltweite Energiehunger der All Electric Society zuverlässig und jederzeit gestillt werden.
Allein die Herstellung der Batterien für diese Großprojekte sowie für die unzähligen kleineren, dezentralen Speicher im privaten und industriellen Umfeld wird ein Volumengeschäft für Robotik und Automation. Beispiel Megafactory Tesla: Hier entstehen anschlussfertige Speichermodule, die sogenannten „MegaPacks“. Alle Produktionsprozesse sind hochautomatisiert. Roboter, Cobots, Fördertechnik, Bildverarbeitung und eine Vielzahl an Automatisierungskomponenten dominieren das Geschehen.
In der Megafactory Lathrop, Kalifornien, einer der größten Batteriefabriken der Welt, entstehen jährlich 10.000 MegaPack-Einheiten mit einer Kapazität von insgesamt knapp 40 GWh. Bei dem immensen Bedarf an Stromspeichern werden auch in Europa mehr und mehr Batteriefabriken gebaut werden. Der Automatisierungsbranche erschließt sich damit ein neues Aufgabenfeld und ein riesiger Volumenmarkt.
Auch wenn die batteriebasierte Stromspeicherung eine der zentralen Säulen einer CO2-neutralen Energieversorgung sein wird, bleibt diese Lösung teuer und ineffizient. Die Sektorenkopplung bietet hier eine ganzheitliche Strategie, um den Bedarf an Batteriespeichern so gering wie möglich zu halten. Durch die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Gebäude, Verkehr und Industrie lassen sich Schwankungen bei der nachhaltigen Erzeugung von Sonnen- und Windenergie teilweise ausgleichen. Durch verschiedene Technologien soll die Energieverteilung über diese Sektoren gemeinsam optimiert werden, um die Dekarbonisierung in allen Sektoren voranzubringen.
Wie solche Lösungen in der Praxis aussehen können, zeigt sich anschaulich am Beispiel Elektroauto. So könnten die Batterien der immer zahlreicher werdenden E-Autos als „Puffer“ und Ausgleich zwischen der schwankenden Stromerzeugung und dem ebenfalls ungleichmäßigen Strombedarf dienen.
Unter der Voraussetzung, die rund 1,4 Millionen E-Fahrzeuge, die in Deutschland zugelassen sind, würden das bidirektionale Laden beherrschen, könnten also auch Strom ins Hausnetz einspeisen, ergäbe sich folgendes Bild: Ausgehend von einer Einspeisung ins Netz von 10 KW pro Fahrzeug, könnte der Fahrzeuggesamtbestand bei vollem Akku über Stunden hinweg 14 Millionen KW oder 14 GW Strom zur Verfügung stellen. Das entspricht ziemlich genau der Leistung von zehn Kernkraftwerken.
Leider sind solche Szenarien noch Zukunftsmusik. In Sachen Sektorenkopplung stehen Deutschland und die Welt noch ganz am Anfang. Die Thematik ist überaus komplex. Sicher ist nur: Auch hier wird sich ein Zukunftsmarkt mit einem interessanten Geschäftsfeld für die Automatisierungstechnik auftun. Denn die künftigen Energienetze werden deutlich komplexer sein müssen als die aktuell genutzten Netze. Statt einer überschaubaren Anzahl von Großkraftwerken, die Millionen von Haushalten und Unternehmen versorgen, werden es dann hunderte von kleinen und großen Kraftwerken sein, die sehr viel mehr Verbraucher versorgen müssen.
Die Folge: Die Bundesnetzagentur hat errechnet, dass allein die deutschen Verteilnetzbetreiber bis zum Jahr 2030 Investitionen im „niedrigen dreistelligen Milliardenbereich“ tätigen müssten, um ihre Netze fit für die transformierte Energieversorgung zu machen. Darin ist auch der Aufwand für den Neubau von Umspannstationen und Transformatoren enthalten, deren Anzahl drastisch ansteigen wird. Und die dann allesamt automatisiert und nicht wie heute üblich mehr oder weniger in Handarbeit in kleinen Stückzahlen produziert werden.
Nicht zu vergessen: Es sind bereits jede Menge Roboter und hoch automatisierte Fertigungsanlagen im Dienste der nachhaltigen Energieerzeugung in Betrieb – sei es in der Batterieproduktion, in der Photovoltaik und Solarthermie, bei der Fertigung von Windkraftanlagen, Brennstoffzellen und dergleichen mehr. Aber: Soll der Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung wie geplant gelingen, geht das nicht ohne den massiven Ausbau weltweiter Produktionskapazitäten in allen Bereichen der erneuerbarer Energieerzeugung, Speicherung und Verteilung. Damit generiert der Transformationsprozess hin zur All Electric Society einen gewaltigen Markt für die Automatisierungsbranche.
Wie schnell diese Entwicklung Fahrt aufnimmt, wird sich auch auf der nächsten automatica zeigen, die vom 24. bis 27. Juni 2025 auf dem Münchner Messegelände an den Start geht.
Text: Ralf Högel