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Cobots haben der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) den Weg bereitet. Derzeit geht der Trend zu Schwerlast-MRK in der Industrie, während Leichtbauroboter noch in der Findungsphase sind.

Der große Hype um Cobots, der vor ein paar Jahren noch die Runde in der Robotikwelt machte, ist deutlich abgeklungen. Die kleinen Leichtbauroboter, die gemeinsam mit Menschen im gleichen Arbeitsraum ohne aufwändige Schutzräume arbeiten, werden bei weitem nicht in den Stückzahlen gebaut, die man vor ein paar Jahren noch prognostizierte.

„Wir haben bereits sehr viele Anwendungen im Markt – echte MRK-Anwendungen sind darunter aber nur 10 bis 20 Prozent“, stellte Helmut Schmid, General Manager Western Europe & Geschäftsführer des Cobot-Herstellers Universal Robots GmbH, vor zwei Jahren fest. Seitdem hat sich nichts Grundlegendes verändert. Der Leichtbauroboter wird nicht wegen seiner Fähigkeiten als MRK-Roboter, sondern primär als kostengünstige Lösung und aufgrund seiner einfachen Integration und Bedienung genutzt.

Doch woran liegt das? „Das zu Beginn der MRK-Diskussion oft dominierende Bild, dass Mensch und Roboter eng Hand in Hand arbeiten, ist nur in ganz wenigen Fällen sinnvoll“, betont Professor Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

Menschliche Arbeitskraft verhindert schnellen Return of Invest von Cobots

„Bei den kollaborativen Robotern wird immer mit dem niedrigen Invest gegenüber einer Vollautomatisierung geworben. Dies begründet sich darin, dass sich oftmals der Aufwand für komplexe Zuführungen sowie Steuerung und Sensorik auf das Robotersystem beschränken lässt“, sagt Susanne Oberer-Treitz, Projektleiterin am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). „Gleichzeitig verbleibt aber mit dem Menschen in der Kollaboration der größte Teil der laufenden Produktionskosten des Gesamtsystems erhalten. Insofern kann sich MRK nur dann rechnen, wenn der Mehrwert der Anwendung zum Beispiel durch eine höhere Fertigungsqualität nachweisbar ist.“

Nichtsdestotrotz gibt es durchaus sinnvolle Mensch-Roboter-Kollaborationen in der Industrie. Das bestätigt Ralf Winkelmann, Geschäftsführer von Fanuc Deutschland: „Der Anwendungsbereich für Cobots ist momentan noch in der Findungsphase. Besonders in Branchen wie der Medizintechnik und Luftfahrindustrie ist häufig die Variantenanzahl und der Qualitätsanspruch sehr hoch, sodass sich hier Mensch und Roboter perfekt ergänzen.“

Der neue Trend: MRK mit Schwerlastrobotern

Auch wenn sich die MRK-Roboter nicht flächendeckend etabliert haben, gehen Experten davon aus, dass MRK im Automationsportfolio künftig eine Rolle spielen wird. „Die Entwicklungen im Bereich der Cobotic sind langfristig natürlich wichtig und richtig. Kurz- und mittelfristig gesehen ist aber eine andere Art der Mensch-Roboter-Zusammenarbeit wesentlich wertvoller für Anwender und Betreiber – nämlich die Schwerlast-MRK“, betont Roland Schrattbauer, Programm-Manager Robotics beim österreichischen Automationsexperten Keba. Dem stimmt Fraunhofer-IAO-Leiter Bauer zu: „Den Zaun wegzulassen und so zu einer neuen Art der Arbeitsteilung zwischen Roboter und Mensch zu kommen, ist durchaus ein Fortschritt.“

Vier Szenarien für den Einsatz von Mensch-Roboter-Kollaborationen in der Industrie

Ein Blick in die Praxis verrät, dass das „K“ in MRK nicht unbedingt nur für Kollaboration steht, sondern auch für Koexistenz und Kooperation. Je nachdem, in welchem Szenario gearbeitet wird, fällt die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter dabei mehr oder weniger eng aus.
Entsprechend unterscheidet die Norm ISO TS 15066 vier Arten des kollaborierenden Betriebs, deren Eignung von den Anforderungen des Unternehmens an die Anwendung hinsichtlich Taktzeit, Flexibilität und Kosten abhängt:

  • Koexistenz mit „sicherheitsgerichtetem überwachtem Halt“: Hier arbeiten Mensch und schutzzaunloser Roboter in benachbarten Bereichen, haben aber keinen gemeinsamen Arbeitsraum. Durch „Stopp bei Zutritt“ hört der Roboter auf zu arbeiten, sobald eine Person seinen festgelegten Arbeitsraum betritt. Wird die Zelle wieder verlassen, läuft der Roboter automatisch wieder an.
  • Kooperation durch „Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung“: Bei der Kooperation teilen sich Mensch und Roboter einen Arbeitsraum, arbeiten darin aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Wird bei diesem Szenario ein definierter Sicherheitsabstand unterschritten, stoppt der Roboter. Sobald der Sicherheitsabstand eingehalten wird, führt der Roboter seine Bewegungen weiter. Je langsamer sich der Roboter dabei bewegt, desto niedriger kann der Sicherheitsabstand sein.
  • Kollaboration durch den Einsatz von „Leistungs- und Kraftbegrenzung“: Dabei arbeiten Mensch und Cobot gleichzeitig am selben Bauteil in einem gemeinsamen Arbeitsraum. Für die direkte Interaktion zwischen Mensch und Roboter werden Kraft und Druck, die der Cobot auf den Mitarbeiter ausüben kann, technisch auf ein ungefährliches Maß begrenzt. Damit es bei der engen Zusammenarbeit nicht zu Verletzungen kommt, setzt man meist kraftbegrenzte, also intrinsisch sichere Cobots ein.
  • Handführung: Ein viertes Szenario ist das Handführen. Der Mitarbeiter gibt dem MRK-Roboter dabei durch physische Interaktionen direkt vor, welche Bewegungen dieser ausführen soll. Das Handführen eignet sich zum Beispiel zur Roboterprogrammierung oder zur assistierten Positionierung. Schutzprinzipien sind hier die Begrenzung der Robotergeschwindigkeit sowie die aktive Bewegungsfreigabe durch eine Zustimmeinrichtung.

Dadurch, dass sich kollaborative Robotik-Anwendungen nicht nur mit einer Leistungs- und Kraftbegrenzung, sondern auch mit Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung umsetzen lassen, hat sich eine weitere Möglichkeit für die Industrie ergeben. So entwickeln einige Roboterhersteller keine speziellen Cobot-Modelle, sondern verwandeln ihre klassischen Industrieroboter mit Hilfe von Sensorik oder einer Safety-Schutzhaut in MRK-Roboter. Der Vorteil dabei: Die MRK-befähigten Industrieroboter unterliegen im Vergleich zu reinen Cobot-Assistenzrobotern keinen Einschränkungen hinsichtlich Traglast, Geschwindigkeit, Reichweite und Präzision.

MRK neu gedacht: Eine Einheit von Safety, Security und Privacy

Werner Kraus, Abteilungsleiter Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA, plädiert daher dafür, „MRK neu zu denken.“ MRK sei eine Einheit, bestehend aus den drei Sicherheitsaspekten Safety, Security und Privacy:

  • Safety als Schutz des Menschen vor Gefährdungen durch Funktion und Fehlfunktion des technischen Systems
  • Security als Schutz des Systems vor absichtlichen Angriffen durch den Menschen
  • Privacy als Schutz des Systems vor Fehlverhalten, die die Privatsphäre von Menschen gefährden.

Fanuc-Geschäftsführer Winkelmann ist überzeugt: „Um Industrieroboter optimal gemeinsam mit dem Menschen einzusetzen, braucht es in den Robotern keine neuen Sensoren, sondern vielmehr neue Ideen und Technologien für neue Produktionskonzepte. Kameragestützte Arbeitsraumüberwachungen und 5G können dabei in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“

Bildergalerie: Von der Koexistenz zur Kollaboration