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Wieviel Autonomie verträgt eine Produktion? Wo liegen die Chancen und wo die Grenzen künstlicher Intelligenz? Eine prominente Umfrage mit KI-Profis von ABB, Siemens, Omron, Schaeffler, dem DFKI und dem Robotik-Startup VisCheck.

Was kann künstliche Intelligenz in der Produktion der Zukunft leisten? Wo macht sie Sinn und wo nicht? Geht man den großen Buzzword Hype rund um Begriffe wie Industrie 4.0 mit, liest sich das Schicksal von Deutschlands Fabriken als besiegelt: Künstliche Intelligenz wird übernehmen, die Fäden ziehen. Die Produktion wird autonom. Und das heißt: Alles steuert sich früher oder später selbst. Oder etwa nicht?

Für die richtige Antwort auf diese Frage braucht es zunächst einmal ein näheres Verständnis der Begrifflichkeiten: Und für künstliche Intelligenz ist das gar nicht so einfach: Denn eine eindeutige Definition für künstliche Intelligenz (KI, englisch: Artificial Intelligence) gibt es gar nicht. Einfach erklärt meint künstliche Intelligenz

...den Versuch, menschliches Lernen und Denken auf den Computer zu übertragen und ihm damit Intelligenz zu verleihen. Statt für jeden Zweck programmiert zu werden, soll eine KI eigenständig Antworten finden und selbstständig Probleme lösen können.

Was autonome Produktion bedeutet, lässt sich ein Stück weit davon ableiten. Eine autonome Herstellung geht tatsächlich weit über stark automatisierte Prozesse hinaus und meint eine Fertigung, die sich selbst steuert, flexibel reguliert und optimiert und in der Lage ist, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Ist eine Produktion also autonom, so ist sie stark KI getrieben. Jedoch: Komplett oder zu welchem Grad?

Wohin führt künstliche Intelligenz in der Produktion?

Oder anders gefragt: Ist solch eine Produktion realistisch? Prof. Dr. Martin Ruskowski vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) relativiert: „Autonomie bedeutet, dass die Arbeitseinheiten ihre technische Vielseitigkeit vergrößern, flexibler einsetzbar sind, kommunizieren und selbständig bestimmte Entscheidungen treffen dürfen. Der Mensch bleibt dabei allzeit der Souverän, trägt die Verantwortung und kann jederzeit eingreifen." Jörg Reger, Leiter des ABB-Geschäftsbereichs Robotik und Fertigungsautomation in Deutschland, stimmt Ruskowski zu: „Es geht nicht darum, menschliche Fähigkeiten zu kopieren. Der Mensch ist unschlagbar in seiner generischen Intelligenz, um neue Probleme zu analysieren und mit Kreativität zu lösen – wie etwa ein Maschinenstillstand mit unbekannter Ursache." Für KI-Anwendungen gelte deshalb auch in erster Linie ein recht enger Fokus: So könne etwa ein Roboter zwar so eigenständig sein, eine spezifische Anwendung zu optimieren, aber nicht plötzlich neue Anwendungen außerhalb seiner Programmierung ausprobieren. Hier stößt KI also auf Grenzen. Und die findet künstliche Intelligenz auch in wichtigen Eckpfeilern der Arbeitssicherheit, wie Guido Bruch vom Robotik-Startup VisCheck anmahnt - selbstfahrende Systeme und Industrieroboter sind hier die wohl diskutiertesten Beispiele aus der Produktion.

Wo wird künstliche Intelligenz heute eingesetzt?

„Bisher wird in Deutschland KI nur sehr punktuell auf Tool-Ebene eingesetzt", sagt Christoph Hildebrandt, Leiter Bildverarbeitung und zerstörungsfreie Prüftechnik im Sondermaschinenbau bei Schaeffler. Als Werkzeug wofür? Axel Lorenz, Head of Automation Systems bei Siemens Digital Industries, konkretisiert: „Heute wird künstliche Intelligenz beispielsweise genutzt, um Transparenz zu schaffen und dem Menschen Handlungsvorschläge zu unterbreiten. Bei der Entwicklung von KI-Anwendungen in der Fertigung werden wir in der Zukunft aber einen großen Schritt in Richtung eigenständige Entscheidungen sehen. Dabei ist der Grad der Autonomie abhängig vom Einsatzgebiet. Dieser ist beispielsweise im Schutzraum, bei ermüdenden, also fehlerträchtigen Aufgaben anders, als bei dem Einsatz von KI für die schnellere Entwicklung und Skalierung von innovativen Geschäftsideen."

Und natürlich ist in der Produktion die Wirtschaftlichkeit der autonomen Systeme das entscheidende Kriterium für ihre Implementierung und Nutzung. Tim Foreman, European R&D Director Omron Europe, sieht hier enorme Potenziale in der intelligenten Prozessoptimierung und -steuerung: „Im Idealfall hilft die KI dem Anwender, Ursache-Wirkungs-Beziehungen unerwünschter Abweichungen, die die Produktqualität negativ beeinflussen, zu identifizieren und zu verstehen. Gleichzeitig kann KI Auswirkungen auf die Produktqualität antizipieren und gegebenenfalls sogar in Echtzeit reagieren." Hierfür kann künstliche Intelligenz sehr große Datenmengen erfassen und zu Informationen verarbeiten. Für Foreman hat eine solche Optimierung darüber hinaus auch Auswirkungen auf die Qualifikation der Mitarbeiter: Dann nämlich, wenn in jedem Schritt des Produktionsprozesses Sensoren und automatisierte visuelle Werkzeuge bei der Qualitätsverbesserung helfen und so Mitarbeiter ganz nebenbei on the fly schulen.

Wirtschaftlich ist künstliche Intelligenz übrigens auch dann, wenn es darum geht, Brücken zwischen Technologie-Inseln zu bauen, wie Guido Bruch vom Robotik-Startup VisCheck erklärt: „Zum Beispiel zwischen einer alten Maschine, die individuell bedient werden muss und einem Roboter, der eine Maschine zwar mechanisch bedienen könnte, aber letztlich doch 'dumm' ist."

Um die Vorstellung davon zu schärfen, wie eine KI getriebene autonome Produktion künftig aussehen könnte, ist ein Blick auf die nächste Etappe 2030 hilfreich. Skizzen kommen von

Wir erleben aktuell die Phase, in der KI Einzug in die Roboterapplikationsebene hält. Hierdurch lassen sich semi-autonome Automatisierungszellen schaffen. Im Jahr 2030 wird die Produktion anstelle von seriellen Fertigungsstationen aus einem Netz dieser semi-autonomen Zellen bestehen, die zum Beispiel durch fahrerlose Transportsysteme (FTS ) flexibel miteinander verknüpft sind. Die Produktionsmitarbeiter werden wiederum unterstützt durch eine Reihe von Smart Apps, und können somit dank ihrer Kreativität die Anlage noch besser optimieren, vorausschauend warten und einfacher steuern.

Reger, Jörg
  • ABB

Produkte werden künftig nur noch auf Bestellung produziert. Selbständige Herstellungsmodule stellen in Fabrikhallen Skills und Services zur Verfügung. Ein Produkt kennt seine Eigenschaften und die notwendigen Arbeitsschritte zu seiner Fertigung. Diese ruft es nach Bedarf von den Modulen ab. Die Abstimmung zwischen Produkt und Maschine erfolgt automatisch. Das Produkt sucht sich seinen Weg eigenständig durch die Fertigung.

Prof. Dr. Ruskowski, Martin
  • DFKI

Künftige KI-Roboter können Bewegungen auf der Grundlage von visuellen und taktilen Sinnen wie Menschen steuern und automatisch optimierte Montagemethode auf der Grundlage des Wissens über frühere Montagearbeiten erstellen.

Foreman, Tim
  • Omron Europe

Zunächst erwarten wir bei Schaeffler eine weitere Tool-Verbreitung. Selbstoptimierende Cobot- und fahrerlose Transportsysteme, kamerabasierte automatisierte Oberflächenprüfungen, sowie Sprach- und Texterkennung werden in der Produktion flächendeckend Einzug finden. Smarte End-Of-Line-Systeme geben hierbei Feedback für die Produktionssteuerung.

Hildebrandt, Christoph
  • Schaeffler

Neue Simulationsfunktionen, autonome Systeme und Cloud-Edge-Anwendungen werden die Fertigungsindustrie signifikant verändern. Zukunftsszenarien beinhalten vollständig selbst orchestrierende Fabriken.

Lorenz, Axel
  • Siemens

Einen Schub könnte die KI erhalten, wenn es zweiarmige Roboter mit Händen als Greifer gäbe. Dies wäre verheerend für den Arbeitsmarkt, würde der KI aber ganz neue Anwendungsfälle ermöglichen.

Bruch, Guido
  • VisCheck

Schließlich gibt also die Anwendung den Ton an. KI muss sich lohnen. Eine autonome Produktion um ihrer selbst willen wird es nicht geben. Zahlt sich KI aber aus, wird sie stärker denn je das Bild der Produktion der Zukunft prägen.